THE OPERATIC LIBRARY OF ELECTOR MAXIMILIAN FRANZ

Das musikalische Inventar des Kurfürsten

Ein Beweis für Kurfürst Maximilian Franz‘ Vorliebe für Musik ist das sehr detaillierte Inventar seiner Notensammlung, das sich heute in der Biblioteca Estense Universitaria in Modena unter der Signatur „Catalogo Generale 53, I-II“ (im weiteren bezeichnet als „Catalogo Generale“) befindet. Der originale Einband und vermutlich auch die ursprüngliche Titelseite existieren nicht mehr. Doch mit seinen 640 Seiten und nahezu 3 400 aufgelisteten Werken stellt das Inventar dennoch eine umfassende Quelle für ein blühendes Musikleben am Bonner Hof dar.

Abgesehen davon ist es die große Sorgfalt, mit der der Catalogo Generale angefertigt wurde, die ihn so besonders macht. Dabei wurde das gleiche handgeschöpfte, hochqualitive Papier verwendet, das von Musikhandschriften aus Wien aus den 1780ern bekannt ist. Bei sämtlichen Instrumentalwerken werden Incipits angegeben, was bei solchen Inventaren eher selten der Fall ist und einen großen Zeitaufwand für den zuständigen Kopisten bedeutete.

Auf der ersten Seite (folio 2r) der Auflistung musikalischer Werke wurden einige Takte von sieben Sinfonien von Carl Friedrich Abel (1723-1787) äußerst sorgfältig von einem Kopisten eingetragen.

Das qualitätsvolle Papier ist zudem eine wichtiger Anhaltspunkt für die Datierung der Handschrift. Das Wasserzeichen auf den meisten Blättern stimmt mit jenem Papier überein, das Mozart in seinen Autographen um 1784 verwendete. Daraus könnte man schließen, dass Maximilian Franz den Catalogo Generale in Auftrag gab, kurz bevor er Wien verließ, um sein Amt als Kurfürst anzutreten. Verschiedene zeitliche Schichten von Handschriften belegen außerdem, dass er das Inventar weiterführen und nach dem Erwerb neuer Bestände aktualisieren ließ. Die frühesten Werke stammen aus der Zeit vor dem Umzug nach Bonn 1784, die spätesten aus der Zeit nach 1794, als der Kurfürst vor den Franzosen aus Bonn flüchten musste. Dies scheint darauf hinzuweisen, dass er seiner Sammeltätigkeit bis zu seinem Tod 1801 nachging.

Ein faszinierendes historisches Dokument

Der Catalogo Generale hält zahlreiche Informationen bereit und zeigt einen repräsentativen Querschnitt der Musikrezeption und -pflege im späteren 18. Jahrhundert. Er dokumentiert außerdem komplexe Netzwerke zwischen Komponisten, Verlegern und aristokratischen Sammlern von Musik. Es ist weithin bekannt, dass der Kurfürst Beethoven zu Studien an Haydn in Wien vermittelte, und dass Haydn 1792 Bonn auf seinem Weg nach London besucht hatte. Zudem scheint Maximilian Franz ein großer Sammler von Haydns Sinfonien gewesen zu sein, was die unten abgebildeten vier Seiten des Inventars belegen.

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On these four pages, three different copyists at different times were at work

Auf diesen vier Seiten (folia 23v-25r) können drei Handschriften unterschieden werden. Zusätzlich gibt es Eintragungen in Bleistift (Nummern) und Rötel, die zu einem noch unbestimmten Zeitpunkt nach Fertigstellug des Inventars hinzugefügt wurden.

Abgesehen von einigen doppelten Einträgen befanden sich insgesamt 71 Orchesterwerke von Haydn in Maximilian Franz‘ Notensammlung, die unter anderem Sinfonien Nr. 32-92 fast vollständig enthielt. Auf der dritten und vierten Seite (siehe oben) scheinen Sinfonien Nr. 85-92 (Bleistift-Nr. 63-70) in exakter Kompositionsreihenfolge. Daraus könnte man durchaus den Schluss ziehen, dass Maximilian Franz selbst oder ein anderes Mitglied des Hofes direkten Kontakt zu Haydn hatte und so neue Werk unmittelbar erhalten konnte. Dass viele dieser Sinfonien von den Bonner Hofmusikern gespielt wurden, darauf weist jene berühmte Anekdote hin, die sich während Haydns Aufenthalt in Bonn 1792 abgespielt und in der der Kurfürst den bereits berühmten Komponisten seinen Musikern mit folgenden Worten vorgestellt haben soll: „Da mache ich sie mit ihrem von ihnen so hochgeschätzten Haydn, bekannt“

Ein Gradmesser für Musikrezeption im späteren 18. Jahrhundert

Doch nicht nur Haydns Werke sind im Catalogo Generale prominent vertreten. Die Vielfalt und Breite der angeführten Komponisten stellen einen Gradmesser dar dafür, welche Musik im Europa des späteren 18. Jahrhunderts Verbreitung gefunden hatte. Ignaz Pleyel (1757-1831) etwa, heute den meisten besser bekannt als Musikverleger, war auch als Komponist äußerst produktiv und erfolgreich. Der Catalogo Generale enthält so viele seiner Streichquartette, dass die eigentlich dafür vorgesehene Seite nicht mehr ausreichte. Die vierte der unten abgebildeten Seiten ist eigentlich die erste dieser Auflistung (Nr. 45-68). Nachdem sie voll war, wurden weitere Werke auf der vorhergehenden Seiten eingetragen. Als auch auf dieser kein Platz mehr war, ging man noch weiter zurück, bis die Liste insgesamt vier Seiten umfasste. Der neueste Eintrag, eines Quartetts in C-Dur, das erstmals 1791 veröffentlicht wurde, scheint somit jener in Bleistift auf der ersten Seite unten zu sein. Die beiden Quartette (in G- und E-Dur), die diesem unmittelbar vorangehen, wurden allerdings erst 1792 veröffentlicht. Es ist jedoch auch möglich, dass es sich beim letzten Eintrag um Bleistift-Nr. 20 auf der darauffolgenden Seite handelt. Dieses Quartett ist zwar mit 1788 zu datieren, die Handschrift scheint aber, was andere Inventareinträge zeigen, der jüngsten Zeitschicht der Einträge zuzurechnen zu sein.

The three sets of handwriting on these 4 pages make it clear that this inventory was used continuously for several years.

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Aus den Datierungen der Werke und den Handschriften lässt sich schließen, dass die Auflistung der Quartette von Pleyel auf der vierten Seite begonnen und aufgrund des Platzmangels sozusagen rückwärts fortgesetzt wurde.

Unser Blick auf Musikgeschichte ist oft gefiltert und geprägt vom Geschmack und der Rezeption späterer Generationen, durch die ein Kanon an ausgewählten Werken und Komponisten entstand, die bis heute ihren festen Platz auf den Opernspielplänen und in den Konzertprogrammen haben. Doch diesem Kanonierungsprozess fielen zahlreiche Namen und Werke zum Opfer. Aus diesem Grund sind Dokument wie der Catalogo Generale von zentraler Bedeutung für die Musikhistoriographie – durch sie wird ein direkterer Blick auf die breite Musikrezeption davor freigegeben.

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Für weitere Informationen sei verwiesen auf den ausgezeichneten Beitrag von Juliane Riepe, „Eine neue Quelle zum Repertoire der Bonner Hofkapelle im späten 18. Jahrhundert,“ in Archiv für Musikwissenschaft 60/2 (2003), 97-114.